Montag, 29. August 2011

Es gibt wohl kaum ein schöneres Gefühl auf der Welt,...

...als wenn ein kleiner Junge, der nicht sprechen kann, deine Hände nimmt und auf sein Herz legt, damit du wieder und wieder für ihn singst...


Aber der Reihe nach.
Am vergangenen Montag hatte ich meinen ersten Tag im Centro Autistico in Quito und am Freitag waren dann endlich die ersten vier Kinder da. Ein herrlicher Tag - der ziemlich heftig begann.
Ich kam beim Centro an und sah draußen einen älteren Herren stehen, der mich begrüßte, sowie ich ihn. An seiner dringlichen Körpersprache war zu erkennen, dass er wohl nicht der Besitzer des Appartements über dem Centro war, sondern der Vater eines der Kinder. Dies wurde dann dirket bestätigt als er mir auf Spanisch erklärte: "Das ist der Junge."
Ich fand das doppelt seltsam, denn erstens hatte seine Aussage einen zugleich hoffungsvollen und resignierenden Klang, wie ich ihn noch nie gehört hatte, und zweitens  zeigte er bei dieser Aussage auf einen Busch..
Erst auf den zweiten Blick sah ich hinter dem Busch einen Jungen auf dem Rasen sitzen, der sich die Ohren zuhielt und sich dabei rythmisch vor- und zurückwiegte. Es ist ja nicht so, dass ich so etwas nicht schon in 100 Filmen gesehen und noch mehr Büchern gelesen habe, aber dann so ganz "live" davorzustehen, wie ein autistischer Junge in dieses typische Verhaltensmuster verfällt.. ja das hat mich schon etwas versteinern lassen. 
Der ältere Herr sah mich weiter erwartungsvoll an und ich probierte mir ein aufmunterndes Lächeln abzuringen, frei nach dem Motto "Das kriegen wir schon hin!" - der Wahrheit entsprach allerdings eher, dass ich es augenblicklich nur "hinkriegte" meine Jacke und Tasche nach drinnen zu bringen. Ach ja,es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen (außer vielleicht DaVinci... wer weiß das schon...) und mir saß eben noch ganz schön die Angst im Nacken.
Soll ich auf ihn zugehen, Kontakt aufnehmen? Oder stört ihn das nur? Verfällt er vielleicht in Schreien, und meine erste Tat wäre dann gewesen, eins der Kinder zum Schreien zu bringen? Während ich noch abwog, was wohl das Klügste wäre, nahm Bia, eine Arbeitskollegin, mir die Entscheidung ab und setzte sich zu dem Jungen, der übrigens Bolivar heißt und 13 Jahre alt ist. Sie schaffte es recht schnell, einen Draht zu ihm aufzubauen, indem beide das Gras zerpflückten und daran rochen und es untersuchten. ich war ein bisschen neidisch, dass ich mich nicht getraut hatte, denn genau das wäre auch mein Ansatz gewesen, um den Kontakt aufzubauen.
Aber es war gut zu sehen, dass ich meinem Bauchgefühl vertrauen konnte und so nahm ich mir fest vor, bei der nächsten Situation selbst die Initiative zu ergreifen. 
Lange musste ich darauf nicht warten, denn schon bald stürmte Erick (7) das Centro - im wahrsten Sinne des Wortes! Er lief aufgeregt durch alle Räume und lachte dabei - ein etwas unnatürliches Lachen, wie es Autisten oft zu Eigen ist. Mich erleichterte sein Verhalten doch sehr, denn Bolivar hatten wir erst nach ca. 20 Minuten überhaupt nach drinnen bewegen können und er saß jetzt mit Bia in einem der Räume und probierte sich an die Umgebung zu gewöhnen.
Währenddessen traf auch Martín ein, ein dicklicher Junge von 8 Jahren. Im Gegensatz zu den beiden anderen quasselte er direkt drauf los, wovon ich allerdings recht wenig verstand. Vom Leiter des Centro, Norbert, hatte ich allerdings gehört, dass Martín zweisprachig erzogen wird und auch Deutsch spricht. Sein Vater hielt mich auch sehr dazu an, mit dem Jungen Deutsch zu sprechen, aber erstmal hatte Martín wenig Lust zu solchen Abenteuern. Da er recht egozentrisch schien, machte es ihm aber auch sichtlich wenig aus, ob ich etwas zu dem sagte was er so von sich gab und tat, er sang uns fröhlich ein paar Lieder vor, die fast alle von Fernsehsendungen stammten (erschütternd!) und tanzte dazu ein wenig.
Als wir eine riesige Ladung bunter Bälle im Raum ausschütteten, begann Erick direkt mit ihnen zu spielen, indem er sie hin- und herrollte. Martín hingegen räumte sie beinah zwanghaft wieder in den Bottich zurück, aus dem sie gekommen waren.
Nach einiger Zeit kam auch Johan, 10 Jahre alt, der jedoch erstmal durch Schreien deutlich machte, dass er nicht von seiner Mutter getrennt werden wollte. Nach noch etwas mehr Zeit war ich kurz mit Erick allein in der großen Halle und packte die Gelegenheit beim Schopf, einen Draht zu ihm aufzubauen. Da ich aber kaum Spanisch und er überhaupt nicht sprechen kann, beschloss ich, ihm ein Lied vorzusingen.
Da ich wiederum kaum Spanische Lieder kenne, sang ich im "So wie du bist" vor.  (für diejenigen, die das Lied nicht kennen, hier ein LINK)
Direkt sah Erick mich mit strahlenden Augen an und bewegte seine Hände schnell kreisend neben seinem Kopf, wie um mir zu sagen: Nochmal! Ich tat ihm den Gefallen und immer und immer wieder wollte er das Lied von vorne hören. Als ich ihm dann irgendwann "Flinke Hände" vorsang, weil mich seine Handbewegung so daran erinnerte, ahmte er lachend das "Fußgetrampel" nach, was ich bei der zweiten Zeile ("Flinke Füße") machte. (Eine ganz fürchterliche Pfadfinderversion des Liedes gibt es HIER
Nachdem ich ein paar mal für ihn gesungen hatte und nicht mehr so recht weiter wusste, stand er auf und lief zur Gitarre, um mit seinen Fingern einmal über die Saiten zu streichen. Ich dachte,er wolle, dass ich ihm etwas auf der Gitarre vorspiele, und nahm sie an mich. Doch Erick lief schnell dazwischen und nahm mir die Gitarre aus der Hand um sie wieder wegzulegen. Glücklicherweise bin ich nicht allzu empfindlich und verstand dies nicht als direkte Kritik an meinem Gitarrenspiel (obwohl ich hinzufügen muss, dass das gute Teil fürchterlich verstimmt war und es mir nicht wirklich gelang, schöne Töne zu zaubern). Vielmehr verstand ich, dass Ericks Geste einfach ein Zeichen für Musik war, also sang ich wieder "So wie du bist" und an seinen glänzenden Augen sah ich, dass ich das richtige Lied gewählt hatte. Die nächsten 20 Minuten lief Erick abwechselnd zur Gitarre, sodass ich "So wie du bist" für ihn sang und trampelte heftig mit den Füßen,um mir klar zu machen er würde gern "Flinke Hände" nochmal hören.
Schwierig wurde das Ganze, als Erick in einen der anderen Räume, die Lounge mit einer Kuschelecke, lief und mir bedeutete mitzukommen. Dort konnte er mir zwar problemlos klarmachen, ich solle Lied Nr.2 singen, aber da keine Gitarre mehr da war,fehlte ein Zeichen für "So wie du bist".
Aber Erick muss das Lied wohl genauso ans Herz gegangen sein, wie mir, denn plötzlich nahm er meine Hand (und das, obwohl er, sobald ich versuchte ihm auf die Nase zu tippen, seinen Kopf zurück zog und mir nicht erlaubte ihn zu berühren) und streichelte sie.
Als ich meine Hand auf mein Herz legte un ihn fragend anblickte, nahm er meine Hand erneut und legte sie auf sein Herz. Wieder sah er mich erwartungsvoll an. Als ich begann "So wie du bist" zu singen quietschte er vor Freude, darüber, dass ich sein Zeichen verstanden hatte.
Das war ein unbeschreiblich schöner Moment. Dieser kleine Junge hatte eine wundervolle Art gefunden, sich mir verständlich zu machen. Und wir hatten etwas gemeinsam. Ein Herz.
Den Rest des Tages ließ Erick mich nicht mehr alleine und duldete auch keine anderen Menschen um uns rum, bzw. er nahm sie gar nicht wahr. Wir hatten uns in der Kuschelecke mit Musik im Bauch vergraben und für den Moment zumindest, wollte Erick aus dieser Behaglichkeit nicht mehr ausbrechen. Am Ende des Tages durfte ich ihn kitzeln und bekam sogar einen (ziemlich nassen) Abschiedskuss aufgedrückt. Seine Mamita war überglücklich, dass Erick jemanden gefunden hatte und danke mir überschwänglich ("Gracias, mi amiga, gracias!" "Danke, meine Freundin, danke!").
Schöner hätte mein erster Tag wohl kaum sein können und ich weiß jetzt schon ganz genau, dass ich den kleinen Erick fürchterlich vermissen werde, wenn meine Zeit hier vorbei ist...


Liebe Grüße,
Isabel 

9 Kommentare:

  1. Es muss eine wunderbare Erfahrung sein, wenn man Menschen mit seinem Herzen berühren kann. Schön, dass du diese Erfahrung mit den Kindern machst.Eine wertvolle Aufgabe! Viel Erfolg weiterhin!

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  2. Liebe Isabell,
    Ich verfolge deinen anderen Blog schon länger, aber dein Quito-Blog hier, gefällt mit eintausend Mal besser. So persönlich und schön geschrieben.
    Die Erfahrung mit dem kleinen Jungen geht, so wie du sie beschreibst, direkt ins Herz!
    Genieß die Zeit und berichte bitte weiter!!

    Liebe Grüße
    Kristina

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  3. hey schwesterherz ;)

    das erlebnis klingt wirklich schön!
    ich lese ganz fleißig, was du so schönes und weniger schönes erlebst. dein alltag ist sicher noch längst keiner und viel spannender als meiner ;)
    ich glaube, dass die arbeit dir viel geben wird.
    wir schreiben/hören/sehen uns ja

    küsschen von deinem schwesterchen

    ps.lass dich nicht von den hunden beißen

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  4. Wow, eure Kommentare sind überwältigend, vielen Dank dafür! Mehr kann ich grad gar nicht sagen, eure Ratschläge nehme ich mir sicher sehr zu Herzen!

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  5. hey :)
    also das hört sich echt toll an... ich bewundere, dass du dich getraut hast mit autisten in einer anderen sprache zu arbeiten... ich mein die sind ja so schon schwer genug :D
    aber weißt du eigentlich ob das überwiegend frühkindliche oder asperger autisten sind? würd mich mal interessieren :D

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  6. Hey Erinnerungsverliebt,
    vorsichtshalber antworte ich dir mal hier und auf deinem Blog. Erstmal danke für deine warmen Worte!
    Die Kinder sind gemischt, von den 5 Jungen haben drei den frühkindlichen Autismus (Kanner-Autismus) und 2 sind Asperger.
    Interessierst du dich auch für das Thema?
    Liebe Grüße

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  7. hey :) ich bin kirsten falls dus noch nicht bemerkt has :D und naja ich arbeite seit drei jahren an der vinzenz von paul schule und studiere dann jetz bald sonderpädagogik von daher :D also falls du auch in deutschland mal was mit behinderten unternehemen wills, nur bescheid sagen ;) haben allerdings reltiv wenig autisten... eigentlich echt schade, weil die ja schon cht interessant sind...

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  8. Hey Kirsten!
    Nein hab ich tatsächlich nicht gemerkt, weder das Foto erkannt noch mich "erinnert" an den Nick. Sorry!
    Oh ja ich beneide dich so darum, dass du schon so víel Praxiserfahrung gesammelt hast, das bleibt einfach beim Studium total auf der Strecke,aber egal, ich mach mir meine Praxiserfahrungen eben selbst :P
    Hab da totalen Respekt vor, was du machst, finde es schon ne Ecke krasser, mit zum Beispiel körperlich behinderten Kindern zusammenzuarbeiten. Wahnsinn!
    Aber vielleicht nehm ich das Angebot trotzdem mal an, wenn ich mal etwas länger da bin - jetzt muss ich natürlich erst den blöden Bachelor zu Ende machen -.-
    Aaaaah ich will endlich in die Ausbildung!

    Anyway, allerliebsten Dank für deinen Kommentar!

    Grüßchen, Isabel

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  9. Heute habe ich endlich mal Zeit gefunden deine letzten Beiträge zu lesen. Die Story mit Erick geht einem schon sehr ans Herz, du bist echt zu beneiden das du so wunderbare Sachen erleben kannst :)

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